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Wenn ein Interview zum Rettungsring wird. Dank eines Beitrags im Online Magazin float kann Sebastian Kummer aus seiner Quarantäne im Mittelmeer gerettet werden. Eine Chronologie der Ereignisse. Von Kerstin Zillmer und Jens Brambusch. 20. Februar Professor für Transportwirtschaft und Logistik an der Uni Wien, bricht in Les Sables d’Olonne mit zwei Freunden zu einem Überführungstörn der »Blu«, einer Lagoon 46, in die Türkei auf. Corona ist bisher lediglich ein lokales Problem in China. 09. März Kurz vor Mallorca, erreicht die Crew der Lagoon 46 die Nachricht von der Schließung Italiens. Corona ist in Europa angekommen. Kummer empfiehlt seinen Freunden, von Mallorca aus nach Hause zu fliegen und beschließt, die Überführung nach Göcek in die Türkei alleine zu wagen. 15.-20.März Seit mehreren Tag ist Kummer nun alleine auf hoher See. Auf der Insel Vulcano nördlich von Sizilien wettert er einen Sturm ab und schläft mittlerweile im 15 Minuten Rhythmus, um mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen. Eines Nachts nimmt ein griechischer Frachter Kummer die Vorfahrt, lediglich ein Manöver im letzten Augenblick kann die Kollision verhindern – der Schlaf-Wach-Rhythmus hat sich bewährt. 21. März Kummer erfährt einen Tag vor der Ankunft in der Türkei, dass er dort nicht einklarieren kann und beschließt in den einsamen Buchten der Ostägäis zu ankern. Am Abend blickt Kummer jedoch in den Lauf einer MP der griechischen Küstenwache, er hat die Wahl: Entweder ein griechisches Gefängnis in Zeiten von Covid-19 oder die illegale Einreise in die Türkei. 27. März Kummer ist ein Outlaw. Streng genommen ein illegal Eingereister, denn auch wenn er nie einen Fuß auf türkischen Boden gesetzt hat, liegt er, am Ende einer schmalen Bucht auf einer der Inseln im Golf von Fethiye, in türkischen Hoheitsgewässern. Der Deutsche mit Wohnsitz in Wien lebt zwischen den Grenzen, allein auf einem Katamaran. Alleine mit sich, der Ungewissheit und einer Tiefkühltruhe mit gefangenem Fisch.
28. März – 06. April Kummer arbeitet täglich mehrere Stunden für die Universität, schwimmt im Mittelmeer, hält sich mit Sport und gutem Essen fit und manchmal gönnt er sich ein Gläschen Rum. Er hat beschlossen, die Zeit als Geschenk anzunehmen. Gerade in diesen verrückten Zeiten, in denen fast täglich neue Corona-Anordnungen getroffen werden, genießt er die schönste Quarantäne, die er sich vorstellen kann. 07. April Mittlerweile ist Kummer so etwas wie ein Medienstar. Zeitungen, Magazine und Fernsehsender berichten über den gestrandeten Professor. Auch schreibt das Online Magazin float über seine Lage und zeigt einen zuversichtlichen Sebastian Kummer. Trotzdem ist er vorsichtig, denn von der Küstenwache ist er allemal geduldet und die Hoffnung offiziell einreisen zu dürfen wird immer wieder enttäuscht. 17. April Kummer hart nun bereits seit knapp vier Wochen in der Türkei aus, ohne wirklich dort zu sein und ein Ende des Lockdowns ist nicht abzusehen. Also beschließt er aktiv zu werden, bittet Freunde um Hilfe und informiert die deutsche Botschaft in Ankara. 22. April Kerstin Zillmer, Chefredakteurin von float, beschließt daraufhin, den in der Türkei auf einem Segelboot lebenden Autor, Jens Brambusch auf das Thema anzusetzen. Er hatte als Journalist schon ganz andere Dinge aufgedeckt und war genau der Richtige, um dieses Thema zu begleiten. Die beiden Segler telefonieren miteinander. Das dabei entstandene Interview wird anschließend von Float veröffentlicht – ein Beitrag mit Folgen. 27. April Wenige Tage nach der Veröffentlichung meldet sich der in Wien lebende Türke Zaman Denli, bei der Chefredakteurin von float – er wolle Kummer helfen. Kummer ist erst skeptisch, beschließt jedoch alle Möglichkeiten die sich ihm bieten zu nutzen. Mit jedem Telefonat wächst das Vertrauen zwischen den beiden und auch die Lösungsansätze scheinen realistisch, zumal sich nun auch die offiziellen türkischen Stellen um eine Lösung bemühen. Doch die ist kompliziert, denn die deutsche Botschaft, das türkische Außenministerium und weitere lokale Stellen müssen zusammenarbeiten. 06. Mai Kummer hat eben erfahren, dass er am nächsten Tag in der Türkei einchecken darf. Doch wird seine Odyssee wirklich bald vorbei sein? Kummer hat Angst. Angst davor, dass er wieder einmal ent- täuscht wird. Schon dreimal hat er sich auf Tag X vorbereitet, dann zerplatzte der Traum wie eine Seifenblase. »Das kostet so viel Energie«, sagt Kummer. Auch hat er Respekt vor dem, was vor ihm liegt. 07. Mai Dort muss er die »Blu« gegen eine Lagoon 450 tauschen und von Göcek aus alleine nach Kroatien segeln. Alles läuft nach Plan. Ein Yachtagent kommt mit Blumen und Süßigkeiten als Zeichen der türkischen Gastfreundschaft an Bord, im Schlepptau hat er einen Amtsarzt, der Kummer auf Corona untersucht. Dann muss er zur Passkontrolle, einklarieren, ausklarieren, alles im 15-Minuten-Takt. Auf dem Weg zu seinem neuen Schiff überfällt ihn die Erleichterung. Kummer springt in die Luft, juchzt und jauchzt.
09. Mai Kummer schläft und wacht im Wechsel von 20 Minuten. Nachts um 3 Uhr setzt er das Groß, um 5.30 Uhr muss er es reffen. Es ist Samstagmorgen. Der Meltemi bläst mit 27 Knoten. Kummer segelt das Groß im zweiten Reff, die Genua mit halber Fläche. Böen peitschen über die See, die Welle ist unangenehm. »Könnte zwischen Karpathos und Kreta unangenehm werden«, schreibt Kummer in sein Logbuch, »in drei Stunden bin ich schlauer«. Der Wind erreicht in Spitzen 40 Knoten, die Wellen kommen von der Seite. Dreimal wird Kummer auf die Flybridge gespült, mehrmals muss er ablaufen. Er steuert jetzt geradewegs auf Libyen zu. Jedesmal, wenn der Wind nachlässt, luvt er wieder an. Kummer ist müde und gestresst. Die griechische Küstenwache hat ihn, obwohl er sich außerhalb der Seegrenze gehalten hat, mehrfach angefunkt. Seit dem Vorfall in einer griechischen Bucht vor mehreren Wochen, als er im Angesicht der Mündung einer Maschinenpistole die griechischen Gewässer verlassen musste, ist er etwas paranoid. Als Kummer die Genua bei 30 Knoten Wind verkleinern will, verklemmt sich die Reffleine. Beim Versuch sie zu lösen, gerät seine linke Hand zwischen Rolle und Schot. Höllische Schmerzen schießen durch Kummers Körper. Er ist gefangen, gefesselt auf der Flybridge. Der Autopilot steuert stoisch weiter. Kummer versucht ruhig zu bleiben, seine Lage zu analysieren. Aber sie scheint aussichtslos. Er kann sich nur befreien, wenn er die Klemme der Reffleine löst. Doch dann wird seine Hand wegen des Drucks im Segel weiter in die Rolle gezogen, vielleicht sogar abgerissen. Kummer kennt solche Berichte: »Ich habe alles versucht, aber keine Chance«. Kummer wird schwarz vor Augen, er hat das Gefühl ohnmächtig zu werden. »Dann sterbe ich hier«, sagt er sich. Also setzt er alles auf eine Karte. Er muss irgendwie die Klemme lösen und mit der rechten Hand, die linke befreien. Nach einem kurzen Mo- ment legt er die Klemme um. Er weiß im Nachhinein nicht wie, aber er schafft es, die Hand blitzschnell zu befreien, bevor die Leine mit rund einer Tonne Kraft sie zerfetzt hätte. Er wankt in den Salon, kramt aus der Tiefkühltruhe gefrorenen Fisch und kühlt die Wunde. Die Hand brennt höllisch, sie ist gequetscht, aber Kummer kann sie bewegen. Die Finger bluten, aber die Schnittwunden sind nicht tief. »Ab diesem Zeitpunkt war ich wirklich ein Einhandsegler«, sagt Kummer. Er ruft eine befreundete Ärztin an und holt sich Tipps zur Behandlung ein. Kummer soll Wasser abkochen, damit die Wunde auswaschen und sie dann desinfizieren. Anschließend muss er die gesäuberte Schnittwunde mit einem wasserdichten Post-OP-Pflaster steril verschließen. Zudem soll er die gesamte Hand bandagieren, um die starken Hämatome zu entlasten. 10. Mai Schon am nächsten Tag haben sich die Wogen geglättet. Das Meer liegt wie ein Spiegel vor dem Bug des Katamarans und auch Kummer fühlt sich besser. Nur der straffe Verband schmerzt. Er legt ihn ab, begutachtet die Verletzung. Die Finger sind geschwollen, aber die Wunde scheint zu heilen. Er ist noch einmal mit einer blauen Hand davongekommen. 13. Mai Kummer hat am Tag zuvor Kreta südlich, unter Maschine umrundet. Mit dem aufdrehenden Südwind setzt er gleich das dritte Reff. Er will erst durch die Straße von Otranto segeln, dann entlang der italienischen Küste Richtung Norden. Weiter draußen auf der Adria tobt jedoch wieder ein Sturm. Das Großfall verheddert sich, sechs Stunden braucht der angeschlagene Segler bei Wind und Welle, um das Problem zu lösen. Aber je näher Kummer seinem Ziel kommt, umso stürmischer wird es. 14. Mai Den ganzen nächsten Tag weht ein kräftiger Wind, verwandelt die Adria in ein Biest. »Nichts für Memmen«, schreibt Kummer in seine Notizen. Erst gegen 4 Uhr nachts flaut es ab. Die Welle steht aber noch, lässt die Segel schlagen. Kummer entscheidet sich für die Maschine. Er ist müde, aber zufrieden. Eine ruhige Nacht kann er gut gebrauchen. 15. Mai Es ist Freitag, Kummer setzt die kroatische Gastflagge. Darunter die Flagge »Q« zum Einklarieren. Es ist 8.45 Uhr und bis zu seinem Ziel, der Insel Vis, sind es nur noch 30 Seemeilen. Kummer sehnt sich danach, dass seine Odyssee nach 90 Tagen endlich endet. Die letzte Woche hatte es in sich. Doch um 10.15 Uhr bekommt er einen Anruf von der Charterbasis, an die er den Kat überstellen soll. Kummer soll in einem Abstand von zwölf Seemeilen an Vis vorbeisegeln. Wenn er dort in die Zwölf-Meilen-Zone einfahren würde, müsste er in Split einklarieren, da dies der nähest gelegene »Port of Entry« ist. Für Kummer bedeutet der Kurswechsel eine weitere Nacht auf See. Weitere 130 Seemeilen liegen vor ihm, da auch die kleinen unbewohnten Inseln nordwestlich von Vis umfahren werden müssen. 16. Mai Samstag Morgen 3 Uhr, Kummer bekommt kein Auge mehr zu. Er ist zwar hundemüde, aber auf den letzten Meilen will er nicht das Risiko eingehen, den Kat auf die Klippen zu setzen. Er verlangsamt die Fahrt, um in der Morgendämmerung durch die Kornaten zu motoren. Um 10 Uhr macht Kummer, völlig ermattet, am Zollpier von Zadar fest. Seine Freunde erwarten ihn bereits. Drei Stunden dauert das Einklarieren. Kummer lässt es wie in Trance über sich ergehen. Noch muss er den Kat zur Basis von Pitter Yachting in Biograd segeln. Später feiert er zusammen mit seinem türkischem Freund Zaman Denli, der ihm in der Türkei und in Kroatien geholfen hat, am Steg. Vor dem Vorstag wehen traditionell die Flaggen des Alphabets, Zahlen und Hilfsstander, achtern die Flaggen der Länder, die Kummer in dem vergange- nen Vierteljahr passiert hat. Als Dank für die Hilfe der österreichischen, deutschen, türkischen und kroati- schen Freunde und als ein Zeichen dafür, dass die Segelsaison am Mittelmeer wieder eröffnet ist.

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